Labor erleben | Therapien begleiten

Nieren sterben leise

Nierenerkrankungen sind nur mit Labordiagnostik frühzeitig zu entdecken

Sven Appel
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Labor erleben Magazin des ALM e.V.: Nieren sterben leise

In Deutschland leiden mindestens zwei Millionen Menschen an einer chronischen Nierenerkrankung. Medizinisch versorgt werden Betroffene vor allem durch Fachärzte für Nephrologie im Zusammenspiel mit Hausärzten und Radiologen, manchmal auch mit Diabetologen, vor allem aber mit Unterstützung fachärztlicher Laboratorien. „Wir Nephrologen könnten nicht ohne die Labore arbeiten, wir wären blind“, sagt Prof. Dr. med. Markus Meier, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie.

Die Ursachen chronischer Nierenerkrankungen liegen in zwei der großen Volkskrankheiten: Diabetes mellitus und Bluthochdruck (arterieller Hypertonus) sind häufig und führen regelmäßig als Spätkomplikation zu Nierenschädigungen mit eingeschränkter Organfunktion. Besonders tückisch ist: Nieren sterben leise. „Gerade in der Frühphase verursachen viele chronische Nierenerkrankungen keine Schmerzen oder andere Symptome“, erklärt Prof. Dr. med. Markus Meier, der in Reinbek und Geesthacht bei Hamburg ein Nierenzentrum, also eine Spezialpraxis für Menschen mit Nierenerkrankungen, leitet. Nierenerkrankungen frühzeitig aufzudecken, gelingt laut Meier daher nur mit Labordiagnostik.

Um herauszufinden, ob die Nieren uneingeschränkt „arbeiten“ oder ob eine Funktionsstörung vorliegt, werden im Blut sogenannte Retentionsparameter wie Kreatinin und Cystatin C gemessen. „Im Urin können die Feststellung der pathologischen Eiweißausscheidung und die Analyse der Eiweißbestandteile des Harns nicht nur den Nierenschaden anzeigen. Sie helfen auch nachzuweisen, in welchem Teil der Niere eine Schädigung vorliegt“, erläutert Prof. Dr. med. Jan Kramer, Facharzt für Innere Medizin und für Laboratoriumsmedizin, der aus dem Labor häufig im Austausch mit dem Nephrologen Meier ist. Auch in der Abklärung der Ursache steht die Labordiagnostik mit an erster Stelle: Die Diagnose des Diabetes mellitus basiert beispielsweise mit den Blutwerten Glukose und dem Langzeitzuckermarker HBA1c ausschließlich auf Labordiagnostik.

Für etwa 15 % der Patienten in der Dialyse kommt ein Spenderorgan grundsätzlich infrage

Die Zahl der Menschen mit Nierenerkrankungen steigt altersbedingt weiter an

Nephrologe Markus Meier geht davon aus, dass die Prävalenz für Nierenerkrankungen weiter steigen wird: um bis zu 20 Prozent in den kommenden zehn Jahren. „Die Deutschen werden immer älter. Damit nehmen auch Herzerkrankungen zu, die Diabetes und Bluthochdruck als häufigste Ursachen für Nierenerkrankungen ablösen werden.“ Wenn Herzerkrankungen auf die Nieren schlagen, sprechen Experten auch vom kardiorenalen Syndrom.

Da viele chronische Nierenerkrankungen über lange Zeit zunächst keine Beschwerden verursachen, wird die Problematik bei vielen Betroffenen im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen entdeckt. Etwa bei der J1-Untersuchung für 12- bis 14-Jährige oder bei den regelmäßigen allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen, auf die Versicherte ab 35 Jahren Anspruch haben. Die Patienten gehen dann zur weiteren Abklärung ins Nierenzentrum, überwiesen vom Hausarzt oder Krankenhaus, je nachdem, wo entdeckt worden ist, dass mit den Nieren etwas nicht stimmen könnte. „Unsere erste Aufgabe ist es dann, die genaue Ursache herauszufinden“, so Meier. „Und dann müssen wir dafür sorgen, dass die Erkrankung nicht weiter voranschreitet und eine Nierenersatztherapie nicht nötig wird oder zumindest möglichst lange hinausgezögert werden kann.“

Diagnose akuter und lebensbedrohlicher Nieren- und Systemerkrankungen

Als Ursache akuter Nierenerkrankungen, zum Teil verbunden mit komplettem Verlust der Nierenfunktion, kommen verschiedene Ursachen infrage. „Besonders gefürchtet sind hierbei unterschiedliche Autoimmunerkrankungen“, sagt Laborarzt Prof. Jan Kramer. „Diese Erkrankungen können mit ihrem häufig raschen Fortschreiten einen unwiederbringlichen Verlust von Nierenfunktion aufgrund dauerhafter Nierenschädigung mit sich bringen.“

Den Verlust der Nierenfunktion zeigt dabei wieder der Basislaborwert Kreatinin an. Die Suche nach der Ursache für die Autoimmunerkrankung erfolgt wiederum mithilfe der Fachärzte für Laboratoriumsmedizin: „Im Blut suchen wir nach Autoantikörpern. Durch spezifische Parameter lassen sich einige Erkrankungen identifizieren, die dann gezielt und rasch behandelt werden können“, so Prof. Kramer, Ärztlicher Leiter des LADR Zentrallabors Dr. Kramer & Kollegen in Geesthacht bei Hamburg. Das Ausmaß des akuten Nierenschadens wird neben Hinweisen auf den Schweregrad und die Form des Eiweißverlusts im Urin durch mikroskopische Detailuntersuchungen im Labor geklärt. Die Beurteilung der Mikroskopie der Organschnitte erfolgt dabei durch Fachärzte des speziellen Laborfachs Pathologie.

Einige Folgeerkrankungen und Spätkomplikationen von Nierenerkrankungen werden ebenfalls mithilfe der Labordiagnostik gefunden und auch in ihrer Therapie gesteuert. Hierzu zählt die renale Anämie, bei der aufgrund eines Nierenschadens mit mangelnder Produktion des Hormons Erythropoetin (Epo) zu wenig rote Blutkörperchen (Erythrozyten) gebildet werden. Behandelt wird die renale Anämie daher mit Epo, um die Entstehung der roten Blutkörperchen anzuregen.

Die Indikation zur Gabe von Epo sowie die Therapiesteuerung erfolgt mittels Basislabordiagnostik. Auch andere Störungen des Stoffwechsels wie die bei Nierenerkrankungen krankhaften Parathormon-Ausschüttungen und deren Auswirkung auf den Kalzium- und Phosphathaushalt sowie andere Elektrolytentgleisungen, zum Beispiel des Kaliums, können nur mittels medizinischer Labordiagnostik erkannt und in der Therapiesteuerung optimiert werden.

Labor erleben Magazin des ALM e.V.: Dialysezeit ist Lebenszeit
Dialysezeit ist Lebenszeit: Für Patientinnen und Patienten mit einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz wird dies zu einem beherzigten Motto. Dreimal pro Woche müssen die Betroffenen zur Blutwäsche für mehrere Stunden an ein Dialysegerät angeschlossen werden. Da gibt es auch keine Ausnahmen. Egal ob es der eigene Geburtstag oder die Feiertage zu Ostern, Pfingsten oder Weihnachten sind, eine Pause gibt es nicht. Auch wenn eine Urlaubsreise geplant ist, müssen die Betroffenen einen Dialyseplatz haben.

„In der für uns sehr wichtigen Genetik sind wir auf den Austausch mit den Fachärzten und Spezialisten für Humangenetik im Labor angewiesen. Und in der Routine der Patientenversorgung werden wir von den medizinischen Laboren durch Analysen der Basis- und Spezialdiagnostik in den fachärztlichen Bereichen Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie unterstützt.“

Prof. Dr. med. Markus Meier, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie

Suche nach genetischen Ursachen

Gerade wenn eine Nierenerkrankung schon in jungen Jahren auftritt und augenscheinlich nicht mit altersbedingten Grunderkrankungen in Verbindung steht, kann die Abklärung genetischer Ursachen sinnvoll sein. Dazu zählen zum Beispiel das Alport-Syndrom oder teilweise die sogenannten Zystennieren. „In der für uns sehr wichtigen Genetik sind wir auf den Austausch mit den Fachärzten und Spezialisten für Humangenetik im Labor angewiesen“, so Meier. „Als Nephrologe möchte ich dann wissen, welche genetischen Marker untersucht werden sollten, auch um unnötige Untersuchungen beziehungsweise überflüssige Aufwände zu vermeiden.“

Enge Überwachung der Dialyse mithilfe der Labormedizin

Bei einem endgültigen Ausfall der Nierenfunktion verbleibt die Nierenersatztherapie: an erster Stelle die maschinelle Dialysetherapie – die Hämodialyse (Blutreinigungsverfahren). Für manche Patienten kommt auch die sogenannte Bauchfelldialyse (Peritonealdialyse) infrage. Im Nierenzentrum Reinbek werden außerdem Patienten mit Fettstoffwechselstörungen betreut. Das heißt, sie werden regelmäßig hinsichtlich ihres Risikos für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall untersucht. Gegebenenfalls erhalten sie Medikamente oder müssen sich der sogenannten Lipidapherese unterziehen – einem Blutwäscheverfahren, bei dem Cholesterin und Blutfette abgetrennt werden. 

Die Dialyse wird zur Qualitätssicherung engmaschig überwacht: Alle vier Wochen wird direkt in der Dialyse gemessen. „Alle zwölf Wochen führen wir beim Dialysepatienten Vor- und Nachdialysekontrollen durch“, so Prof. Meier. Dabei werden die Effektivität der Dialysebehandlung und bestimmte Hormonwerte gemessen – die Werte wiederum beeinflussen die Medikation der Patienten. „Die Qualität der Entgiftung durch die Dialyse lässt sich nur laborchemisch, also mithilfe des Labors bestimmen“, erklärt Meier.

Labordiagnostik vor und nach einer Nierentransplantation lebenswichtig

Zurzeit werden in Deutschland mehr als 90.000 Menschen dialysiert. Für etwa 15 Prozent der Patienten in der Dialyse kommt ein Spenderorgan grundsätzlich infrage – bis sie eines erhalten, vergehen meist viele Jahre. Umso wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass das Spenderorgan nicht vom Körper des Empfängers abgestoßen wird.

Im Rahmen der Testung der Gewebeverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger des Organs spielt die Labordiagnostik die entscheidende Rolle: Laborwerte zeigen, ob eine ausreichende Verträglichkeit des Organs für den Spender besteht. Dafür werden die Blutgruppe und zahlreiche andere Gewebemerkmale im Labor in einem „Matching“ überprüft. Dies verhindert sonst auftretende sofortige und akute Abstoßungsreaktionen des Körpers durch das Immunsystem des Empfängers.

Kommt es zu einer Nierentransplantation, muss allerdings immer – mit der Ausnahme der Lebendspende bei eineiigen Zwillingen – eine Immunsuppression zur Verhinderung der chronischen Organabstoßung beim Empfänger durchgeführt werden. Das heißt, die Immunabwehr des Empfängers wird bis zu einem bestimmten Grad heruntergefahren, um die Toleranz gegenüber dem gespendeten Organ zu erhören. Das ist immer eine Gratwanderung: Ist die Immunsuppression zu schwach, wird das Organ vom Immunsystem angegriffen. Ist die Immunsuppression zu stark, drohen dem Empfänger Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze sowie langfristig auch Krebserkrankungen, da das Immunsystem seinen wichtigen Funktionen der Körperabwehr nicht mehr nachkommen kann.

Lebenslanges Monitoring notwendig

Transplantierte müssen daher regelmäßig mittels Labordiagnostik im Hinblick auf ihren Blutspiegel (Immunsuppressiva) analysiert werden, um eine individuelle Dosisanpassung zu verfolgen. Dieses unverzichtbare lebenslange Therapiemonitoring ermöglicht nachhaltig ein optimales Ergebnis der Transplantation für die Lebensqualität der Patienten. „Um einer Abstoßung des Spenderorgans sicher entgegenwirken zu können, brauchen wir das Labor“, so Prof. Meier.

Bei Infektionen werden Fachärzte für Mikrobiologie und Virologie im Labor zurate gezogen

Immunsupprimierte Patienten sind vergleichsweise anfällig für Infektionen. Sollten bei Transplantationspatienten im Rahmen der Immunsuppression Infektionen auftreten, ist die Labordiagnostik in der Erregeridentifikation durch entsprechend qualifizierte Laborfachärzte der einzige Weg einer gezielten Therapie. „Da ist auch der persönliche Kontakt zwischen behandelndem Arzt und den Kollegen im Labor wichtig, sodass wir zum Beispiel die Behandlung mit bestimmten Antibiotika abstimmen können“, erläutert Meier. Die Grundlage dafür legt das Labor durch Resistenztestungen der Erreger, wodurch ein zielgerichteter, effektiver Antibiotikaeinsatz erst möglich wird. Dies rettet den Betroffenen regelmäßig das Leben.

Durchschnittlich rund 1 000 Patienten betreut ein Nierenzentrum wie das von Prof. Markus Meier. „Wir merken, dass wir an Kapazitätsgrenzen kommen“, so Meier. Dadurch verlängern sich die Intervalle, in denen Patienten persönlich ins Nierenzentrum kommen. „Wir können nicht jeden Patienten turnusmäßig vier- oder fünfmal im Jahr persönlich sehen, sondern müssen immer stärker nach Dringlichkeit priorisieren. Also lassen wir deren Werte einmal im Quartal im Labor untersuchen, besprechen die Befunde telefonisch mit den Patienten, und wenn dann noch etwas fraglich oder gar kritisch sein sollte, bestellen wir die Betroffenen zu weiteren Untersuchungen ein.“

Um Laborbefunde richtig zu interpretieren, ist oft eine gemeinsame Einordnung durch behandelnde Ärzte und deren Kollegen im Labor notwendig. Das gilt nicht nur, aber in besonderem Maße auch für die Nephrologie. „Hinter den Werten können manchmal unterschiedliche Ursachen stehen. Wir müssen daher Laborergebnisse und das Bild zusammenbringen, das wir als behandelnde Ärzte von unseren Patienten haben“, erklärt Markus Meier.

Daraus ergeben sich dann die nächsten Schritte, zum Beispiel bestimmte weitere Untersuchungen, um die Ursachen einzugrenzen. Auch weil die Behandlung von Menschen mit Nierenerkrankungen sehr kostspielig sein kann, müsse man sichergehen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, so Meier. „Die Labormedizin und der wichtige kollegiale Austausch mit den Laborärzten liefern uns dafür eine wichtige Grundlage.“

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