ALM e.V.: Herzlichen Glückwunsch, Herr Dr. Reinhardt, zu Ihrem neuen Amt. Mit Ihnen ist erstmals seit Jahrzehnten ein niedergelassener Hausarzt an der Spitze der BÄK. Welcher Impuls geht von dieser Wahl aus?
Dr. Klaus Reinhardt: Vielen Dank. Aber lassen Sie mich gleich zu Beginn eines klarstellen: Ich vertrete die Interessen aller Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, nicht die Partikularinteressen irgendeiner Gruppe innerhalb der Ärzteschaft. Gleichwohl halte ich es für gut, dass jemand an der Spitze der Bundesärztekammer steht, der selbst ärztlich tätig ist und die Versorgungswirklichkeit aus eigener Erfahrung kennt. Und dass es sich, nachdem die letzten Präsidenten ja alle aus dem stationären Sektor kamen, jetzt um einen Hausarzt mit eigener Praxis handelt, ist sicherlich kein Nachteil.
Welche kurz- bis mittelfristigen Zielen verfolgen Sie in Ihrem neuen Amt?
Entscheidend ist das langfristige Ziel. Und da erscheint es mir besonders wichtig, dass Ärzte endlich wieder Zeit für ihre Patienten haben. Denn jede Minute, die ein Arzt mit dem Ausfüllen von Formularen verbringt, fehlt ihm für Diagnostik und Therapie, für die persönliche Zuwendung und das Patientengespräch. Diese Vergeudung wertvoller Arztzeit ist gerade vor dem Hintergrund des Ärztemangels fatal. Daher hat der Abbau von Bürokratie für mich die höchste Priorität. Mehr Zeit für den Patienten, das heißt aber auch, dass wir das Honorarsystem neu justieren müssen.
Wie wird sich das Bild des Arztes und seiner Tätigkeit im ambulanten wie stationären Bereich zukünftig verändern?
Die Digitalisierung verändert praktisch jeden Lebensbereich. Sie wird auch vor dem Gesundheitssystem nicht Halt machen. Das eröffnet viele neue Möglichkeiten. Fernbehandlungen, Gesundheits-Apps, Telemedizin sind hier nur einige Stichworte. Ein weiteres ist Big Data, also die Auswertung riesiger Datenmengen zu Forschungszwecken und zur Versorgungssteuerung. Davon kann die Wissenschaft enorm profitieren.
Klar ist aber auch: Algorithmen dürfen nicht über Therapien entscheiden. Das ist und bleibt die Aufgabe des Arztes. Wichtig ist, dass wir als Ärzte diese Entwicklung aktiv mitgestalten, und zwar mit dem klaren Primat einer guten gesundheitlichen Versorgung. Wir dürfen das Thema Digitalisierung nicht den Internetgiganten überlassen. Es muss um das Patientenwohl gehen, nicht um Profite.
Im Zusammenhang mit dem TSVG wurden in der Gesundheitspolitik die Themen „Ökonomisierung der Medizin“, „Nutzen von MVZ und MVZ-Strukturen für die Versorgung“, „Macht von Investoren“ und auch „Angestellte Ärztinnen und Ärzte“ intensiv, kontrovers und bisweilen auch sehr emotional diskutiert. Wie werten Sie diese Diskussion? Und was muss getan werden, damit es eben nicht zu einer Ökonomisierung der Medizin kommen kann?
Es versteht sich von selbst, dass wir Ärzte wirtschaftlich handeln und vernünftig mit den Geldern der Versicherten umgehen müssen. Die große Gefahr liegt in der Kommerzialisierung der Medizin. Die wird übrigens von der Politik schon seit Jahrzehnten forciert.