ALM Aktuell 06/2023 | MIO-Laborbefund und optOut-ePA

Laborbefunde im Schlaglicht der optOut-ePA

Share on twitter
Share on linkedin
Share on facebook
Share on whatsapp
Share on email

Im medizinischen Versorgungsalltag werden Laborbefunde aktuell nur in der jeweiligen Einrichtung gespeichert. Die Labore übermitteln die Befunde in der Regel nur an die veranlassenden Ärztinnen und Ärzte, und eine Weitergabe dieser strukturierten elektronischen Daten (in den Formaten LDT (2)-Variante oder HL7 (3)) an Dritte ist derzeit nicht vorgesehen. Laborbefunde werden daher bestenfalls in Auszügen innerhalb von Papier- oder PDF-Dokumenten weitergegeben.

Sascha Lüdemann | Dr. Burkhardt Müller | Thomas Göttsch

Unsere medizinische Versorgungsrealität beruht zu einem erheblichen Teil auf einem arbeitsteiligen Vorgehen, das Mitbehandlung, Weiterbehandlung, die konsiliarische Hinzuziehung von Fachärzten, Überweisungen in Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen sowie die Notfallerstversorgung durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder Notarzt umfasst.

Laborbefunde spielen eine wichtige Rolle in der Diagnosefindung und Therapieüberwachung. Fehlende Daten können zu Fehleinschätzungen, Verzögerungen oder Doppeluntersuchungen führen. Eine ergänzende patientenzentrierte Datenhaltung hat das Potenzial, diese Informationsverluste in einrichtungsübergreifenden Versorgungsszenarien kausal zu vermeiden. Eine optOut-ePA (elektronische Patientenakte), die bereits vom Labor mit strukturierten MIO-Laborbefunden (4) befüllt wird, bietet die große Chance, bei spezifischen Problemkonstellationen eine Lösung bereit zu stellen.

Hier einige Beispiele typischer Konstellationen:

Voruntersuchung

Um die Versorgung eines Patienten richtig einzuschätzen, ist für die diagnostische Einordnung einer Erkrankung ein Computertomogramm (CT) erforderlich. Der Radiologe, der das CT durchführt, muss Kontrastmittel anwenden und benötigt daher aktuelle Nieren- und Schilddrüsenwerte. Diese Laborwerte kann der einweisende Hausarzt problemlos anfordern. Allerdings hat der Radiologe derzeit keinen direkten Zugriff auf diese Daten und ist daher auf Papierausdrucke oder Faxe angewiesen, die über den einweisenden Hausarzt mit zeitlicher Verzögerung den Weg zum Radiologen finden (Hausarzt – Labor – Hausarzt – Radiologe). Dies führt zu einer effektiven Verzögerung bei der Übermittlung der Befunde und der Behandlung.

Urlaubsvertretung

Wenn der betreuende Hausarzt eines Patienten mit umfangreicher medizinischen Vorgeschichte im Urlaub ist, wendet sich der Patient an eine vertretende Praxis oder einen anderen Hausarzt. Derzeit hat dieser Vertretungsarzt keinen Zugriff auf die bereits ermittelten Befunde. Es fehlen Informationen darüber, ob möglicherweise am Vortag in der Primärpraxis relevante Laborbefunde für den Patienten veranlasst wurden. Damit sind Doppeluntersuchungen, relevante Verzögerungen oder nur oberflächliche Zwischenbetreuungen an der Tagesordnung.

Notfallversorgung

Eine ältere Patientin mit mehreren Grunderkrankungen sucht einen Hausarzt zur Erstuntersuchung auf. Es kommt zu einer akuten Verschlechterung des Allgemeinzustandes außerhalb der regulären Sprechzeiten (nachts, am Wochenende), was eine ärztliche Weiterversorgung unumgänglich macht. Zu diesem Zeitpunkt liegen bereits aktuelle Laborbefunde vor, die jedoch den behandelnden Ärzten nicht zur Verfügung stehen. Die Anamnese allein ist in solchen Fällen nur begrenzt aussagekräftig.

Ohne Unterstützung des Hausarztes besteht keine Möglichkeit, zeitnah auf relevante Vorbefunde zuzugreifen. Daher werden in solchen Situationen regelmäßig (nicht nur) Laboruntersuchungen erneut veranlasst, um eine sichere Diagnose zu stellen. Ohne Zugriff auf Vorbefunde fehlt auch die Möglichkeit, den zeitlichen Verlauf zu beurteilen. Dies führt zu einem nicht kompensierbaren Informationsdefizit mit potenziell lebensbedrohlichen Konsequenzen.

Der ALM e.V. unterstützt ausdrücklich die Weiterentwicklung der ePA im Sinne einer optOut-ePA.

Lösungsansatz optOut-ePA

Eine ePA, die von bestehenden Informationssystemen wie LIS/KIS/AIS (5) einfach und zuverlässig gelesen und beschrieben werden kann, ist unmittelbar für jeden Patienten bei Mit- und Weiterbehandlungen sowie bei nicht zeitlich zusammenhängenden Ereignissen und Arztwechseln äußerst nützlich.

Behandelnde Ärztinnen und Ärzte sollten potenziell Zugriff auf alle relevanten medizinischen Daten und Vorbefunde haben. Eine strukturierte Speicherung von Laborergebnissen in einer ePA bietet auch eine unverzichtbare Datenbasis für die Versorgungsforschung. Aus ökonomischer Sicht wird in diesem Zusammenhang gerne eine Untersuchung von McKinsey (6) zitiert.

Unter der Prämisse einer optOut-ePA besteht die Möglichkeit, Laborergebnisse in großem Umfang als Daten für den Patienten und die behandelnden Ärzte zur Verfügung zu stellen. Der ALM e.V. unterstützt ausdrücklich die Weiterentwicklung der ePA im Sinne einer optOut-ePA und schlägt einen konkreten Lösungsweg vor. Zur praxisgerechten Umsetzung bedarf es dabei einiger Grundsatzentscheidungen.

Dr. med. Michael Müller, 1. Vorstandsvorsitzender ALM e.V.
Dr. Michael Müller 1. Vorstandsvorsitzender
Dr. Michael Müller ist niedergelassener Facharzt für Laboratoriumsmedizin und 1. Vorsitzender des ALM e.V.
Dr. Christian Scholz
Dr. Christian Scholz Mitglied im Vorstand
Dr. Christian Scholz ist Facharzt für Laboratoriumsmedizin, Mitglied im Vorstand und Sprecher der AG IT des ALM e.V.
Optout-ePA
Abbildung: Labore übermitteln den MIO-Laborbefund per API direkt in die ePA und sachgerechterweise künftig mittels KIM (Kommunikation im Medizinwesen) auch direkt an den Einsender.
Praktische Lösungsvorschläge der AG IT des ALM e.V.

Weiterentwicklung der ePA in Form einer optOut-ePA

  1. Die Labore stellen Befunde als MIO in die ePA. Eine Verlagerung dieser Bereitstellung in die auftraggebenden Praxen oder Krankenhäuser würde dazu führen, dass weniger Befunde in die ePA gelangen und die oben skizzierten Problemfälle nicht gelöst werden können.
  2. Die Labore haben daher standardmäßig die Berechtigung, einen MIO-Laborbefund in die ePA eines Patienten zu schreiben, sofern dieser dem nicht explizit widersprochen oder ein optOut für die ePA durchgeführt hat.
  3. Die Definition des MIO-Laborbefunds sollte zur Einführung bereits in einer Version vorliegen, die auch die Mikrobiologie abdeckt und damit mindestens dem aktuellen verbindlichen LDT3-Standard entspricht. Da heute bereits Mischbefunde verwendet werden, ist es wichtig sicherzustellen, dass MIO-Laborbefunde gegenüber einem LDT3-Datensatz keine inhaltlichen Defizite aufweisen und somit keine unvollständigen MIO-Laborbefunde entstehen. Dies ist entscheidend für die Akzeptanz des MIO-Laborbefunds.
  4. Da die Labore täglich rund 2 Millionen Befunde erzeugen, muss dieser Prozess einfach und automatisiert sein. Sofern die erforderliche Patienten-ID, z. B. die eindeutige Versicherungsnummer, im Auftrag verfügbar ist, kann der Befund für die ePA bereitgestellt werden. Die ePA muss dies mit einem entsprechenden Rückgabewert quittieren, zum Beispiel „Ok“, „keine Berechtigung für das Labor“, „keine ePA (optOut)“ oder „temporär nicht möglich (sonstiger Fehler)“. Dadurch kann jedes Labor eine robuste automatisierte Befundübermittlung organisieren. Pseudonymisierte Laboraufträge ohne Patienten-ID, beispielsweise im Bereich der Arbeitsmedizin, werden grundsätzlich nicht in die ePA aufgenommen.
  5. In bestimmten Fällen ist eine verzögerte Bereitstellung von Laborbefunden für den Patienten erforderlich. Die Diagnose und die Behandlungsmöglichkeiten sollten in diesen Fällen vor Einsicht des Laborbefunds durch den Patienten in einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt geklärt werden. Als Lösungsmöglichkeit kann der Einsender dem Labor im Auftrag strukturiert in einem Datenfeld mitteilen, dass die Ergebnisse der angeforderten Laborleistungen dem Patienten direkt in der ePA angezeigt werden sollen. Alle anderen Befunde werden mit einer zeitlichen Sperrfrist für MIOs in der ePA eingestellt und dem Patienten nach einer definierten Zeit automatisch in der ePA angezeigt. Andere Leistungserbringer haben sofortigen Zugriff auf die Daten. Der beauftragende Arzt kann über sein Primärsystem diese Sperre vorzeitig aufheben. Dieser Vorschlag könnte auch für die Umsetzung anderer MIO in der ePA verwendet werden.
  6. Die Labore benötigen in bestimmten Situationen Informationen aus der ePA, wie Diagnosen und verordnete Medikamente. Hierfür sollte die Patientenkurzakte in strukturierter Form und als PDF über eine API für die Labore abrufbar sein, um die erforderlichen Informationen im Zusammenhang mit einer Befundung innerhalb eines LIS anzeigen zu können.

Anforderungen an die Regulierung

Die Erfahrungen im Markt der LIS/KIS/AIS-Systeme der letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass ohne regulatorische Vorgaben und eine sinnvolle Definition von Startfunktionalitäten im Rahmen einer Zertifizierung für die Primärsysteme diese Schnittstellen nicht in angemessener Zeit und gewünschtem Umfang und Funktion verfügbar sein werden. Eine wichtige Funktion, die in den Primärsystemen vorhanden sein solllte, ist beispielsweise die Visualisierung und die Möglichkeit zur Einstellung von Notifikationen für kritische MIO-Laborbefunde. Dadurch könnte der leider immer noch weit verbreitete Einsatz von Faxgeräten reduziert werden.

Eine Zertifizierung von Mindeststandards könnte idealerweise in Kooperation mit der GEMATIK7 von der KBV8 durchgeführt werden. Die KBV hat bereits umfangreiche Erfahrungen in der Durchführung von Zertifizierungen und ist auch ein vertrauter Partner für Software-Hersteller in diesem Bereich.

Darüber hinaus hat die langjährige Erfahrung gezeigt, dass der Erfolg der ePA, insbesondere im Zusammenhang mit Laborbefunden, von der Bereitstellung einer eindeutigen Patienten-ID und einer klaren Regelung der Verantwortlichkeit für das Einstellen von Daten in die ePA (z. B. indirekte Befundwege) abhängen wird. Eine grundlegende Voraussetzung für alle, die eine ePA nutzen möchten, ist die Bereitstellung der digitalen GesundheitsID für alle Versicherten, einschließlich privat versicherter Patienten.

Aus Sicht des Datenschutzes können bestimmte Konzepte der optOut-ePA kritisch gesehen werden. Die optOut-ePA steht für eine verbesserte medizinische Versorgung der Patienten. Dieser Mehrwert sollte durch eventuell erforderliche Anpassungen der gesetzlichen Vorgaben mit dem Datenschutz in Einklang gebracht werden.

Mit der Implemetierung der Anbindung der Labore an eine optOut-ePA so-wie der Bereitstellung von MIOs ist erheblicher zusätzlicher Aufwand verbunden, der Softwarepflege und das Vorhalten von Rechner- und Leitungskapazität umfasst. Trotz stetig steigender Kosten für Mieten, Energie und Personal sowie zusätzlicher Anforderungen wie dem IT-Sicherheitsgesetz (KRITIS) war die Vergütungssituation der Labore in den letzten Jahrzehnten rückläufig und durch die Quotierung im Kassenbereich zusätzlich belastet. Insbesondere für kleinere Labore ist dieser Kostendruck kaum noch zu bewältigen. Eine angemessene Vergütung für die Anbindung und Unterstützung der optOut-ePA ist daher notwendig.

Ausblick

Die AG IT des ALM e.V. hat intensiv an der Gestaltung von Standards wie LDT3 oder MIO-Laborbefund, der Einführung von LOINC9, der Kommentierung von Gesetzesvorlagen sowie den am Jahresanfang stattgefundenen Workshops der GEMATIK zur optOut-ePA teilgenommen. Dabei hat sie sich intensiv mit der Expertise erfahrener Kollegen aus verschiedenen Laboren eingebracht.

Die Akkreditierten Labore in der Medizin unterstützen die Entwicklung ei-ner optOut-ePA, insbesondere, wenn der oben skizzierte Lösungsweg für die Laborwelt beschritten werden kann. Sie werden auch weiterhin aktiv an der Digitalisierung und Optimierung der Interoperabilität mitarbeiten. In der Kommunikation mit Praxen, Krankenhäusern und anderen Medizinischen Versorgungszentren haben wir Labore seit 20 Jahren funktionierende digitale Standards etabliert. Mit dieser Erfahrung möchten wir die erweiterten Möglichkeiten, die eine gut gestaltete ePA bietet, aktiv und mit Leidenschaft vorantreiben und blicken mit großer Hoffnung auf die Zukunft der optOut-ePA.

  1. Eine optOut-ePA bezieht sich auf das Konzept der automatischen Erstellung einer elektronischen Patientenakte (ePA) für den Patienten, es sei denn, dieser widerspricht aktiv.
  2. LDT: Laboratory Data Transfer Standard
  3. HL7: Health Level Seven International
  4. MIO: Medizinische Informationsobjekte
  5. LIS: Laborinformationssystem, KIS: Krankenhausinformationssystem, AIS: Arztinformationssystem
  6. https://www.mckinsey.com/de/news/presse/2022-05-24-42-mrd-euro-chance
  7. GEMATIK: Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH
  8. KBV: Kassenärztliche Bundesvereinigung
  9. LOINC: Logical Observation Identifiers Names and Codes

Sascha Lüdemann ist eHealth Manager und Prokurist der Sonic Healthcare Germany.

Dr. Burkhardt Müller ist Facharzt für Laboratoriumsmedizin am MVZ für Laboratoriumsdiagnostik Raubling (amedes Gruppe).

Thomas Göttsch ist Teamleiter IT des MVZ Medizinisches Labor Hannover (Standort der Limbach Gruppe).

Die Autoren sind Mitglieder der Arbeitsgruppe IT des ALM e.V. 

In dieser Ausgabe

ALM-News-Service

Bleiben Sie informiert und erhalten Sie relevante Nachrichten und Updates zur Labordiagnostik per E-Mail. Abonnieren ist ganz einfach: Nutzen Sie unser Formular und bestätigen anschließend Ihre E-Mail-Adresse. Diesen Service können Sie jederzeit mit einem Klick wieder abbestellen.