ALM Aktuell 06/2023 | Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke im Interview

„Wir brauchen dringend Kapital im deutschen Gesundheitswesen”

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Im Interview spricht Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke, Experte für Gesundheitsökonomie, Marktzugang und Gesundheitspolitik, über Investoren in der Gesundheitsversorgung, die Rolle von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und die Gründungsvoraussetzungen. Er betont die Bedeutung einer effektiven Regulierung, um eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen.

Das Interview führte Axel Oppold-Soda

ALM e.V.: Herr Prof. Fricke, Sie sind Mitautor des Memorandums ‚Die Rolle von MVZ in der ambulanten medizinischen Versorgung – besteht regulatorischer Handlungsbedarf?‘, das im Februar in Berlin vorgestellt wurde. Seit der Veröffentlichung gab es zahlreiche Diskussionen über die Regulierung der medizinischen Versorgung, bei denen auch viele Behauptungen ohne ausreichende Belege aufgestellt wurden. Beispielsweise wurde behauptet, dass die Patientenversorgung gefährdet sei, weil Private Equity im Gesundheitswesen aktiv ist, oder dass die Gewinne aus dem deutschen Gesundheitswesen auf den Cayman Islands landeten. Was sagen Sie zu solchen Entwicklungen?

Prof. Frank-Ulrich Fricke: Ich will das mal höflich formulieren. Wenn die Gewinne auf den Cayman Islands landen, dann würde ich das kaum anders bewerten, als wenn sie im nächsten Porsche oder einem Immobilienprojekt landen. Da sehe ich keine großen Unterschiede in der Gewinnverwendung. Wer das Kapital investiert, entscheidet auch über die Verwendung der daraus resultierenden Gewinne. Letzten Endes ist es aus meiner Sicht aber so, dass wir dringend Kapital im deutschen Gesundheitswesen benötigen, um die vor uns liegenden Investitionsaufgaben in der Gesundheitsversorgung auch bewältigen zu können. Dabei will ich nur auf die fehlenden Investitionsmittel seitens der Bundesländer für Krankenhäuser sowie die erforderlichen Investitionsmittel in der ambulanten Versorgung für die Digitalisierung hinweisen.

Was unterscheidet Ihrer Meinung nach die aktuelle Debatte über die Regulierung von Medizinischen Versorgungszentren von früheren Diskussionen, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Terminservicestellengesetz (TSVG) im Jahr 2019?

Aus meiner Sicht ist die aktuelle Debatte sehr stark von der Frage nach der Kapitalherkunft und der Verwendung der Kapitalerträge beeinflusst. Dabei spielen zwei Hypothesen eine prägende Rolle: Erstens wird behauptet, dass nichtärztliche Kapitalgeber höhere Renditeanforderungen haben als ärztliche Kapitalgeber. Zweitens wird argumentiert, dass die Kapitalerträge nichtärztlicher Kapitalgeber der Gesundheitsversorgung entzogen werden, während Kapitalertrag ärztlicher Kapitalgeber wieder in der Gesundheitsversorgung eingesetzt wird.

Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Vertragsärzte andere Renditeerwartungen haben als nichtärztliche Kapitalgeber. Ich habe auch noch keinen erlebt, der gesagt hätte: „Ich erwarte eine deutlich geringere Rendite, denn ich investiere hier für einen guten Zweck!“ Außerdem spielt es wohl kaum eine Rolle, ob ein Kapitalgeber vom Kapitalertrag einen neuen Porsche kauft oder in denkmalgeschützte Immobilien investiert.

Inwiefern sehen Sie die Patientenversorgung durch Renditeerwartungen von Investoren gefährdet, wie in der aktuellen Debatte oftmals behauptet

Überhaupt nicht. Ich bin eher davon überzeugt, dass die Patientenversorgung von anderen Phänomenen gefährdet wird. Zum Beispiel davon, dass etwa die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht hinreichend nachkommen, wenn es um die Krankenhäuser geht, sich gleichzeitig aber für den Erhalt einer obsoleten Krankenhausstruktur einsetzen. Wenn sich die Länder nun auch noch dabei engagieren, die Kapitalzuflüsse in der ambulanten Versorgung zu beschränken oder willkürlich bestimmte Kapitalgeber zu bevorzugen, dann sehe ich da eher Gefahren für die Patientenversorgung.

Ich sehe auch, dass die Idee des Gesetzgebers, das kommunale Engagement von Einrichtungen beim Betrieb von Medizinischen Versorgungszentren zu ermöglichen, nicht dazu geführt hat, dass sich die Kommunen in der Breite in der medizinischen Versorgung engagieren. Und wenn Kommunen das nicht können oder tun, nichtärztliche private Kapitalgeber aber nicht erwünscht sind, dann wird der Kreis der möglichen Kapitalgeber kleiner und ich frage mich, wo das notwendige Kapital für die Versorgung herkommen soll. Und nochmal: Ich glaube nicht, dass bestimmte Berufsgruppen besser als Kapitalgeber geeignet sind als andere.

Was macht aus Ihrer Sicht einen Investor oder Kapitalgeber aus und was unterscheidet seine Interessen von denen anderer Akteure in der Gesundheitsversorgung?

Ich würde hier nicht von Akteuren, sondern von Rollen sprechen. Wenn sie sich mal die Einzelpraxis einer Ärztin anschauen, dann ist sie die Kapitalgeberin, sie ist Arbeitgeber, sie ist medizinische Behandlerin und sie ist im schlimmsten Fall auch noch ihre eigene Buchhalterin. Wenn sich alle diese Rollen in einer Person vereinigen, dann behaupte ich einfach, dass hier die Segnungen der Arbeitsteilung noch nicht hinreichend erkannt und genutzt sind. Ich bin überzeugt, dass Medizinische Versorgungszentren das Betriebsmodell der Zukunft sein werden. Daher ist es erforderlich, einen sicheren Rechtsrahmen für alle Beteiligten zu schaffen.

Ich sehe aber grundsätzlich nicht, dass sich Medizinische Versorgungszentren in den Kernfragen rund um ihren Betrieb wesentlich von anderen Organisationen in der Gesundheitsversorgung, wie zum Beispiel Krankenhäusern, unterscheiden. Auch in Krankenhäusern haben wir angestellte Ärzte, wir haben ärztliche Leiter und einen kaufmännischen Verantwortungsbereich. In jedem Krankenhaus gibt es heute Kostendruck und Bemühungen um Effizienzsteigerung. Ich bezweifle, dass sich die betriebswirtschaftlichen Druckverhältnisse in unterschiedlichen Organisationen der Gesundheitsversorgung nach der Herkunft der Kapitalgeber unterscheiden lassen.

Keine Kommune in Deutschland, die Träger eines Krankenhauses ist, ist darüber begeistert, wenn sie ihren kommunalen Steuerzahlern einen finanziellen Verlust des kommunalen Krankenhauses und nachfolgende Erhöhungen kommunaler Steuern und Abgaben mitteilen muss. Dementsprechend sehe ich keine grundsätzlichen Unterschiede beim Kostendruck und auch nicht bei den jeweiligen Effizienzbestrebungen.

Medizinische Versorgungszentren sind seit mehr als 20 Jahren ein fester Bestandteil der Versorgungslandschaft in Deutschland. Sie bieten vor allem viele Vorteile für jüngere Ärztinnen und Ärzte, die lieber ambulant und in Anstellung arbeiten wollen. Welche Rolle kommt hier aus ihrer Sicht den Finanzinvestoren zu?

Ich würde zunächst noch bei jüngeren Ärztinnen und Ärzten ergänzen, dass sie nicht unbedingt eigenes Kapital in das Unternehmen Arztpraxis stecken wollen und sie wollen auch nicht unbedingt gleichzeitig Arbeitgeber, Buchhalter usw. sein, sondern sich vor allem ihrer ärztlichen Tätigkeit widmen. Zumindest zeigen das die Ergebnisse der regelmäßigen Befragungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bei Studierenden der Medizin. Wenn sie also nicht eigenes Kapital einbringen und sich auf ihre medizinische Versorgungsrolle konzentrieren wollen, dann sind andere Investoren erforderlich, um das notwendige Kapital einzubringen, um medizinische Versorgungsstrukturen für die Zukunft aufbauen und betreiben zu können.

Ich hatte anfangs schon die Digitalisierung erwähnt. Sie wird neben anderen in der Diskussion befindlichen Entwicklungen dazu führen, dass der Kapitalaufwand für die ambulante Versorgung noch weiter steigen wird. Ich glaube kaum, dass mit wachsendem Kapitalbedarf die Bereitschaft von Medizinerinnen und Medizinern steigen wird, noch mehr privates, eigenes Kapital in die Einzelpraxis zu investieren.

Ich erwarte nichts von den Ländern, die bei den Krankenhäusern noch erheblichen Nachholbedarf haben. Auch die Kommunen haben ihre Möglichkeiten in den vergangenen Jahren nicht genutzt, um ambulante Versorgung aufzubauen und zu betreiben. Woher also soll das erforderliche Kapital kommen? Werden künftig Genossenschaften von GKV-Versicherten gegründet, um den Kapitalbedarf für die ambulante Versorgung zu decken? Das halte ich für unwahrscheinlich. Ich sehe hier einen erheblichen Kapitalbedarf und das zieht nichtärztliche Kapitalgeber an.

Die entscheidende Frage ist für mich, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn man die Gründungserfordernisse für alle in gleicher Weise regelt und auf regulatorische Umwege verzichtet.”

Wie sehen Sie das Gründungserfordernis eines MVZ, das für Nichtvertragsärzte an ein Krankenhaus gebunden ist? Ist diese Regelung angemessen im Hinblick auf eine gute Versorgung?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass hier ein Umweg vorgegeben ist, der zu höheren Kosten und höherem Kapitalbedarf führt. Der Kapitalbedarf für den Umweg steht für die Versorgung nicht zur Verfügung. Die entscheidende Frage ist für mich, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn man die Gründungserfordernisse für alle in gleicher Weise regelt und auf regulatorische Umwege verzichtet.

Wie sollte der Gesetzgeber den Ordnungsrahmen für MVZ weiterentwickeln, um unabhängig von der Frage nach ‚gutem oder schlechten‘ Geld die Transparenz und Qualität in der medizinischen Versorgung zu stärken?

Als Erstes halte ich die Transparenz für wichtig. Das Transparenzerfordernis betrifft aber alle, die sich im Markt der ambulanten Versorgung mit Kapital engagieren. Zum Zweiten kann ich mir selbstverständlich vorstellen, dass hier auch eine Qualitätsberichterstattung für alle notwendig wird. Wenn für alle die gleiche Transparenz gilt und umgesetzt wird und darüber hinaus auch eine Qualitätsberichterstattung Vergleiche zwischen Organisationen mit unterschiedlichen Kapitalgebern ermöglicht, dann wird man etwas zu den Unterschieden in der Qualität sagen können.

Die derzeitigen Versuche, unterschiedliche Qualitäten in der Versorgung auf bestimmte Merkmale von Kapitalgebern zurückzuführen, sind zum Scheitern verurteilt. Dafür fehlt die Datenbasis. Darüber hinaus hat ja auch das IGES-Gutachten aufgezeigt, dass man selbst mit intelligenten Hilfskonstrukten zu Aussagen kommt, die aus meiner Sicht lediglich dazu führen, dass man den gleichen Ordnungsrahmen für Medizinische Versorgungszentren unabhängig von den Kapitalgebern fordern muss. Wie schon das Gutachten gezeigt hat, ist der Verweis auf vermeintlich höhere Ertragsansprüche von nichtärztlichen Kapitalgebern in der Versorgung empirisch nicht zu belegen.

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Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke
Prof. Dr. Frank-Ulrich Fricke ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Technischen Hochschule Nürnberg.
In dieser Ausgabe

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