ALM aktuell 10/2022

Diagnostische Spitzenmedizin braucht (noch immer) Spitzenpersonal

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Die Automatisierung ist in den fachärztlichen Laboren in bestimmten Bereichen gut vorangeschritten und ausgebaut. Dort können die Labore ihre Diagnostikprozesse bereits hocheffizient gestalten und das Fachpersonal ganz gezielt einsetzen. Klar ist allerdings: Bis zur Erreichung des nächsten wesentlichen Reifegrads in der Laborautomatisierung und Robotik wird es dauern. Auch unabhängig davon werden wir für qualitativ hochwertige Medizin immer auch gut ausgebildetes Fachpersonal brauchen. Dieses ist für die Labore immer schwerer zu finden.

Fabian Raddatz | Carola Jaster

Diagnostische Spitzenmedizin braucht (noch immer) Spitzenpersonal

In der COVID-19-Pandemie stellen die medizinischen Labore ihre außerordentliche Leistungsfähigkeit weithin sichtbar unter Beweis. Dabei hat sich die Labormedizin bereits seit vielen Jahren zu einem ‚Konditionalfach‘ entwickelt: Weitgehend erst mithilfe diagnostischer Leistungen der Labormedizin ist eine Teilhabe an einer angemessenen und umfassenden medizinischen Versorgung und Prävention von Krankheiten möglich. Viele Erkrankungen können nur durch die Labordiagnostik erkannt und im Hinblick auf Prognose, Therapieerfolg oder Prävention beurteilt werden.

Medizinische Technologinnen und Technologen für Laboratoriumsanalytik (MTLA) sowie die Fachärztinnen und Fachärzte1 in den Laboren bilden die Berufsgruppen, deren Arbeit maßgeblich die in Deutschland flächendeckende und wohnortnahe Verfügbarkeit von fachärztlich verantworteter Labordiagnostik in ambulanten wie stationären Einrichtungen der Patientenversorgung sicherstellt. Bereits jetzt sind diese Spezialist*innen jedoch schwer zu finden und auch die Perspektive verheißt nichts Gutes:

Das Ergebnis einer internationalen Erhebung von 2019 zeigt: Weltweit fehlen rund 43 Millionen Fachkräfte im Gesundheitswesen.2 Der Fachkräftemangel trifft natürlich auch Deutschland und hier alle Sektoren im Gesundheitswesen, die Laborbranche eingeschlossen. So muss in der Perspektive davon ausgegangen werden, dass 2035 voraussichtlich knapp 1,8 Millionen offene Stellen im deutschen Gesundheitswesen nicht mehr besetzt werden können.3

Unter Berücksichtigung des demografischen Wandels, einer älter werdenden Bevölkerung mit einem zunehmenden Anteil an multimorbid und chronisch Erkrankten und weiteren Entwicklungstendenzen im Gesundheitswesen, wie den Schwerpunkten Prävention und personalisierte Medizin, wird es einen steigenden Bedarf an spezifischer Diagnostik und entsprechenden Fachkräften geben.

Die Mitgliedsunternehmen im ALM e.V. können geplante Stellen in den Laboren mangels geeigneter Bewerbungen teilweise schon jetzt nicht mehr besetzen. Dies betrifft sowohl die Bereiche der Analytik als auch die unterstützenden Prozesse. Auch Fachärzt*innen und Weiterbildungsassistent*innen sind deutschlandweit sehr schwer zu finden, wobei sich gerade im laborärztlichen Bereich zusätzlich eine relative Überalterung zeigt – bei steigender Tendenz.4

Automationslösungen haben zumindest in den großen Laborbereichen einen hohen Reifegrad erreicht. Bis zur nächsten Zäsur mit Potenzial zur Reduzierung der Personalbindung wird es jedoch dauern. Dabei ist klar, dass Automation und Robotik auch in kommenden Generationen das Expertenwissen des Fachpersonals in den Laboren nicht ersetzen, sondern ergänzen werden. Davon unabhängig wachsen mit jedem weiteren Schritt in der Automatisierung die fachlich-technologischen Anforderungen an die Beschäftigten, die im Ergebnis weiterhin dringend benötigt werden.

Medizinische Technolog*innen für Laboratoriumsanalytik (MTLA)

Die Pandemie hat gezeigt, wie relevant und abwechslungsreich der MTLA-Beruf ist: So wurde die Diagnostik rund um den neuen Corona-Erreger in kürzester Zeit und in enger Zusammenarbeit mit den fachärztlichen Kolleg*innen etabliert und im Verlauf stetig an neue Erregertypen angepasst und weiterentwickelt.

Auch unabhängig von der Pandemie gibt es immer wieder neue physiologische und biochemische Vorgänge, die eine Anpassung bestehender oder die Etablierung gänzlich neuer Nachweis- und Testverfahren in allen Bereichen der Analytik erfordern, um Prävention, Früherkennung, Prognoseeinschätzung oder Therapieverlauf bestmöglich zu unterstützen. MTLA sind hieran immer beteiligt, Hand in Hand mit den Fachärzt*innen in den Laboren. Schließlich bringen technische Innovationen neue Systeme, neue Stufen der Automatisierung und weiterentwickelte IT-Tools hervor und damit ein hohes Maß an fachlichen und persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

So verschieden wie die fachlichen Inhalte sind auch die damit in Zusammenhang stehenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche für die Berufsausübung benötigt werden. Ob es ein gutes Gespür für die Merkmale von Zellen in der Hämatologie oder das Abstraktionsvermögen im Hinblick auf den Ablauf einer Infektion ist oder ob die vielschichtigen Prozesse in der Blutgerinnung zu analysieren sind – regelmäßig geht es hier um die langfristige Gesundheit oder gar das Überleben von Betroffenen in der stationären und ambulanten Versorgung.

Fachärztliche Gesamtverantwortung

Ähnlich der Situation der MTLA bietet auch die Facharztausbildung in den Laborbereichen ein breites Tätigkeits- und Themenspektrum. Die Bedeutung der fachärztlichen Gesamtverantwortung in der medizinischen Versorgung mit Labordiagnostik hat sich in der COVID-19-Pandemie klar gezeigt. Es waren Fachärztinnen und Fachärzte für Labormedizin bzw. für Mikrobiologie, die frühzeitig und effizient die diagnostischen Methoden etabliert haben und mit ihren Teams seit geraumer Zeit und unter enormen Anstrengungen wöchentlich Kapazitäten für Millionen von SARS-CoV-2-PCR-Tests zur Bewältigung des medizinischen Bedarfs an Diagnostik zur Verfügung stellen. Zur gleichen Zeit standen sie den primär behandelnden Kolleginnen und Kollegen beratend zur Seite.

Die medizinische Versorgung ist interdisziplinär ausgerichtet. Die Facharztdisziplinen aus der Labordiagnostik leisten hier einen wichtigen Beitrag. Der Arztvorbehalt für die zentralen Bereiche der Versorgung, zu denen auch die medizinische Labordiagnostik gehört, ist wichtig für die Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung insgesamt.

Mögliche Gründe für den Fachkräftemangel im Bereich MTLA

Die öffentliche Wahrnehmung für die Systemrelevanz, Sinnhaftigkeit und Attraktivität dieser Berufe ist (noch) nicht gegeben und mit einem stereotypen Bild behaftet. Zwar halten viele Jugendliche Laborjobs für sinnhaft, sicher und systemrelevant, allerdings fehlt den meisten eine genaue Vorstellung und der Zugang zum Thema. Viele denken an repetitive Tätigkeiten ohne allzu viel Einfluss und an das Bild eines klassischen Arztbesuchs; viele unterstellen einen Mangel an Aufstiegschancen und Weiterbildungsmöglichkeiten (diese sind aber vielfach gegeben, bspw. mit Blick auf das Qualitätsmanagement oder Führungspositionen in Laborunternehmen).

Die Naturwissenschaften der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) bleiben auf der Strecke. Jugendliche mit naturwissenschaftlicher Begabung und entsprechenden Noten suchen sich Berufe in Unternehmensberatungen, Programmierschmieden oder in der Fahrzeugindustrie. Außerdem denken viele Jugendliche, dass die Arbeit im Labor nur mit sehr guten Noten erreichbar ist.

Berufe ‚hinter den Kulissen‘ bleiben auch in der Pandemie noch außen vor. Zwar hat die Pandemie das Licht auf den medizinischen Bereich gelenkt und insbesondere Wissenschaftsexpert*innen, Mediziner*innen und Pfleger*innen in den Fokus der breiten Öffentlichkeit treten lassen. Außen vor geblieben sind jedoch diejenigen Berufsbilder, die hinter den Kulissen medizinische Fortschritte oft erst ermöglichen: Die Fachkräfte in den Laboren, deren Selbstbild und Attraktivität stark von der fehlenden Aufmerksamkeit in Mitleidenschaft gezogen werden.5

Guter Ansatz, nicht zu Ende gedacht: neues Ausbildungsmodell ab 2023

Einem breit angelegten, attraktiven und auf allen Ebenen gut organisierten Ausbildungsangebot, gerade für junge interessierte Menschen, kommt vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels eine ganz besondere Rolle zu. Hier wird es ab 2023 zu weitreichenden Änderungen kommen. Insbesondere werden mit der zum Jahreswechsel in Kraft tretenden Reform der MTA-Ausbildungsberufe Auszubildende direkt den Laboren zugewiesen, wobei künftig 2.000 Praxisstunden verteilt über unterschiedliche Kompetenzbereiche abzudecken sind. Über diese Intensivierung des praktischen Ausbildungsteils darf man sich zu Recht freuen und der verstärkte ‚Deep Dive‘ im Labor wird für alle Beteiligten von Vorteil sein.

Die andere Perspektive: Gerade in den kommenden Jahren der Umsetzung des neuen Ausbildungsmodells besteht das praktische Risiko, dass die erhöhten Anforderungen zu einer reduzierten Anzahl an Ausbildungsplätzen führen, da die ausbildenden Labore darauf bedacht sein müssen, auch unter erhöhter Belastung eine qualitativ hochwertige Betreuung anzubieten, um die interessierten Talente in der Ausbildung zu halten und möglichst langfristig zu binden. Der erheblich erhöhte Ausbildungsaufwand wird zunächst oftmals unter Einbindung der bestehenden Ressourcen getragen, denn der Aufbau neuer Ausbildungskompetenz und der dazugehörigen Ressourcen ist für die Labore eine enorme Herausforderung.

Die gesetzlichen Grundlagen der MTLA-Ausbildung ab 2023 sind nicht konsequent zu Ende gedacht und leiden an einer massiven Finanzierungslücke, da die niedergelassenen schwerpunktmäßig ambulant tätigen Labore mit ihren erheblichen Mehrkosten für die MTLA-Ausbildung allein gelassen werden.6 Wird diese Lücke nicht geschlossen, besteht das Risiko, dass die Anzahl der MTLA-Ausbildungsplätze ab 2023 bundesweit drastisch sinkt. Gleiches gilt auch für die Schulkosten der MTLA-Auszubildenden der oben genannten Labore, denn das bisher an die Schulen gezahlte Schulgeld wurde im Zuge der Ausbildungsreform gestrichen.

Mögliche Gründe für den Fachkräftemangel im Bereich Fachärzt*innen

Die Attraktivität einer ärztlichen Tätigkeit in einem medizinischen Labor wird Studierenden nur eingeschränkt vermittelt. Der Nutzen einer interdisziplinären Beratung zwischen behandelnder Ärzt*in und einer Laborärzt*in oder einer Mikrobiolog*in von der Indikationsstellung bis hin zur fallbezogenen Befundinterpretation sind nur vereinzelt Bestandteil der ärztlichen Ausbildung. Famulaturen in einem medizinischen Labor werden nicht überall gleichwertig zu Famulaturen in anderen ärztlichen Ausbildungsfächern anerkannt.

Was nun? Kernforderungen des ALM e.V. für Personal und Weiterbildung

Der ALM e.V. hat bereits zu einem frühen Zeitpunkt Kernforderungen und Wünsche für den Bereich Personal und Weiterbildung formuliert und Lösungen zur Steigerung der Attraktivität und Stärkung der Berufsstände MTLA und Fachärzte der einschlägigen Gebiete benannt, die gemeinsam von Politik, Verbänden und Unternehmen angegangen und umgesetzt werden sollten:

  • Wahrung des Arztvorbehaltes für die Erbringung diagnostischer Leistungen
  • Reform des MTA-Gesetzes als wichtiger Baustein zur Stärkung der Attraktivität der Assistenzberufe in der Medizin sowie Förderung der Durchlässigkeit der verschiedenen medizinnahen Assistenzberufe (u. a. Neuverteilung der Aufgaben)
  • Finanzierung und Förderung der erforderlichen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen auf Landes- und Bundesebene, insbesondere Schließung der aufgezeigten Finanzierungslücke in der neuen MTLA-Ausbildung auf Bundes- und/oder Landesebene
  • Ausgleich von Informationsdefiziten: Informations- und Awarenessangebote (in Schulen, Berufsberatungen etc.), Stärkung der MINT-Fächer in den Schulen
  • Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung der Vorzüge der betreffenden Berufsgruppen über ansprechende Imagekampagnen und umfassende Berufsinformationen – in digitaler Form
  • Attraktive Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten mit herausfordernden Entwicklungsperspektiven, attraktiven Arbeitszeitmodellen und neuen Technologien für die junge Generation
  1. Fachärzt*innen für Laboratoriumsmedizin/Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie/Humangenetik/Transfusionsmedi
  2. in Lancet. 2022 Jun 4; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35617980/
  3. www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/fachkraeftemangel-im-deutschen-gesundheitswesen-2022.html
  4. 2013 lag das Durchschnittsalter bei durchschnittlich 52,8 Jahren (Ärzteschaft gesamt: 53,3 Jahre),
    2021 bereits bei 55,1 Jahren (Ärzteschaft gesamt: 54,5 Jahre).
  5. Vgl. zum Ganzen auch www.mta-dialog.de/artikel/laborbranche-leidet-unter-imageproblem-und-bewerbermangel – zur betreffenden Studie der Starlab International GmbH (2021).
  6. Eine Finanzierung der neuen MTLA-Ausbildungskosten einschließlich der Finanzierung der Schulkosten ist mit
    § 76 MTBG i.V.m. § 17a i.V.m. § 2 Nr. 1a Buchstabe h) Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) bisher nur für die
    MTLA-Auszubildenden vorgesehen, deren Träger der praktischen Ausbildung ein Krankenhaus(labor) ist.
Fabian Raddatz
Fabian Raddatz
ist zusammen mit Nina Beikert Geschäftsführer der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH und Sprecher der AG MTA des ALM e.V.
Carola Jaster
Carola Jaster
ist staatlich anerkannte MTLA und Gesundheitsbetriebswirtin. Sie ist Prokuristin und Abteilungsleiterin Basislabor bei der Labor 28 GmbH und Mitglied der AG MTA des ALM e.V.
Fabian Raddatz
Fabian Raddatz
ist zusammen mit Nina Beikert Geschäftsführer der Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH und Sprecher der AG MTA des ALM e.V.
Carola Jaster
Carola Jaster
ist staatlich anerkannte MTLA und Gesundheitsbetriebswirtin. Sie ist Prokuristin und Abteilungsleiterin Basislabor bei der Labor 28 GmbH und Mitglied der AG MTA des ALM e.V.
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