ALM aktuell 10/2022

Zukunft MIO — der Weg des Laborbefunds in die ePA

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In den vergangenen Monaten hat die mio42 GmbH den MIO*-Laborbefund für die ePA (elektronische Patientenakte) spezifiziert. Die Arbeitsgruppe IT des ALM e.V. hat intensiv an der Entstehung dieses wichtigen Datenformats und der ausführlichen Kommentierung mitgearbeitet. Durch die umfangreiche fachliche Expertise aller Teilnehmenden und die Erfahrungen aus der jahrelangen Weiterentwicklung des LDT3 konnten viele Fragen einvernehmlich und fachlich gut beantwortet und in die Kommentierung eingebracht werden. * MIO = Medizinische Informationsobjekte

Sascha Lüdemann | Thomas Göttsch

Zukunft MIO — der Weg des Laborbefunds in die ePA

Die Bedeutung der ePA und des MIO-Laborbefunds

Die Verfügbarkeit des MIO-Laborbefunds für die ePA ist ein wichtiger Meilenstein und wird die Patientenversorgung in Deutschland verbessern. Dies kann insbesondere dadurch erreicht werden, dass Daten in der ePA durch behandelnde und vor allem weiter behandelnde Ärzt*innen oder auch im Rahmen einer späteren erneuten Behandlung durch andere Einrichtungen dauerhaft nutzbar sind. Erstmals wird die Verknüpfung von Prozessen und Daten über Sektorgrenzen hinaus in der Breite und nicht nur regional möglich sein: Ambulanz, Allgemein- und Fachärzt*innen, Krankenhaus, Nachsorge, Reha, Pflege und Psychoanalytik können zielgerichtet bestimmte wichtige Vorbefunde bei ihrer Arbeit berücksichtigen und ihrerseits aktuelle Informationen hinzufügen.

Ältere oder betreuungsbedürftige Patient*innen sind als Informationsquellen nicht immer zuverlässig. Dadurch können wichtige Informationen übersehen werden oder verloren gehen. Die ePa und die zukünftig darin enthaltenen MIO-Laborbefunde bieten zuverlässige Informationen für viele Beteiligte, können durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen die Belastung für Patient*innen verringern und zur Kosteneffizienz beitragen.

Erfolgsfaktoren

Voraussetzung für den Erfolg der ePA und des MIO-Laborbefunds ist die Verfügbarkeit einer einheitlichen kollisionsfreien Patienten-ID für alle Personen, die das Gesundheitswesen in Anspruch nehmen könnten. Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen und – aktuell in Umsetzung befindlich – der privaten Krankenversicherungen haben mit der eGK1-Versichertennummer bereits ein bewährtes Personenkennzeichen.

Auch bei Namenswechsel, zum Beispiel durch Heirat, bei Adressänderung oder Kassenwechsel, ist mit der eGK-Nummer im GKV2-Bereich schon jetzt eine zweifelsfreie Zuordnung gewährleistet. Diese Funktionalität wird auf die Versicherten der privaten Krankenversicherungen ausgeweitet und sollte auch auf die dann noch verbleibenden Personenkreise, beispielsweise den der Bundeswehr, erweitert werden.

Die Wichtigkeit dieser eindeutigen ID für die ePA wird am Beispiel deutlich, wenn eine Patient*in bereits in der Akte des Primärsystems einer weiterbehandelnden Ärzt*in existiert. Aus älteren Behandlungsfällen könnten zusätzliche behandlungsrelevante und möglicherweise sogar lebenswichtige Informationen vorliegen, die nach Ergänzung mit Daten aus der ePA im Primärsystem eindeutig der Patient*in zugeordnet werden könnten und damit verfügbar wären. Diese Zusammenführung kann anhand einer eindeutigen ID sichergestellt werden.

Eine große Herausforderung für die Umsetzung des MIO-Laborbefunds wird die Erfassung von Laborbefunden sein, die nicht in fachärztlichen Laboren durchgeführt werden. Bei Eigenerbringung der Laborleistung in der Praxis muss der MIO-Laborbefund von der Ärztin oder dem Arzt in der Praxis erzeugt werden. Die typische Infrastruktur einer Arztpraxis mit einem AIS/PVS3 wird dies voraussichtlich nicht umsetzen können – häufig finden Prozesse auch manuell statt.

In der Regel werden in den Praxen auch keine Qualitätsmanagementsysteme wie GLP4 oder die Akkreditierung ISO 151895 durch die DAkkS6 angewendet. Das Arbeiten nach der RiLiBÄK7 zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ist zwar verbindlich vorgeschrieben, wird jedoch nicht auditiert. Die gewonnenen medizinischen Ergebnisse sind jedoch wichtig und es muss geklärt werden, wie der Prozess für die Übergabe in die ePA und die Qualitätssicherung dieser Ergebnisse geschehen soll.

Nutzen für die fachärztlichen Labore

Für die fachärztlichen Labore selbst oder die Kommunikation zwischen Labor und einsendenden Kolleg*innen entstehen durch die Einführung eines MIO-Laborbefunds und die ePA kein direkter Nutzen. Schon seit Jahrzehnten wird an dieser Schnittstelle ohne Medienbrüche mit den semantisch interpretierbaren Datenformaten LDT2/LDT3 gearbeitet. In den LDT3-Datensätzen sind heute mehr Informationen kodierbar und verfügbar, als in der aktuellen Version 1.0.0 des MIO-Laborbefunds. Dennoch besteht seitens der fachärztlichen Labore ein hohes Interesse, den MIO-Laborbefund zu unterstützen und damit zu einer besseren Versorgung beizutragen.

Zeitplanung

Bei der Umsetzung des MIO-Laborbefunds muss sowohl den Softwareherstellern als auch den Laboren genügend Zeit eingeräumt werden. Da der steigende Zeitbedarf für die Spezifikation meist in Korrelation mit dem für die Umsetzung steht, muss für diese ein ähnlicher Aufwand eingeplant werden.

Die zeitliche Planung sorgte in der Vergangenheit oft für Schwierigkeiten. Politik und Gremien dehnten die Zeiträume für die Spezifikationen immer weiter aus. Am Ende stand jedoch die Einhaltung bestimmter Termine im Vordergrund, was zur Folge hatte, dass teilweise gar keine Zeit mehr für die Umsetzung eingeräumt wurde oder Anforderungen sogar rückwirkend in Kraft gesetzt wurden.

Die Softwarehersteller müssen die Spezifikationen nach deren Verfügbarkeit umsetzen, testen und in ihren Softwareprodukten ausliefern. Die Labore müssen das Softwarerelease ausführlich testen, Stammdaten vorbereiten und anpassen, Schnittstellen erweitern, anschließen und validieren. Die Laborsoftware muss dann in den Produktionsbetrieb überführt und die Dokumentation dazu aktualisiert werden. Erst dann kann die Nutzung in den Praxen beginnen.

Um einen Wildwuchs aus verschiedenen Interpretationen zu vermeiden, durch den die medizinische Nutzung der Daten in der ePA in Frage gestellt würde, sollte die Umsetzung des MIO-Laborbefunds in den verschiedenen Softwarelösungen von der KBV zertifiziert werden.

Umsetzung

Nahezu alle Daten, die in den MIO-Laborbefund aufgenommen wurden, stehen bereits im LDT3 zur Verfügung. Die Hersteller von Laborinformationssystemen (LIS) und teilweise auch die Mitgliedslabore des ALM e.V. haben bereits heute lauffähige Implementierungen für LDT3 in Eigenentwicklung vorliegen. Leider ist der Rollout des LDT3 in den Praxen bislang aus verschiedenen Gründen nicht vollumfänglich verwirklicht.

Die Umsetzung der LDT-Erzeugung in den Laboren war mit zum Teil erheblichen Kosten verbunden. Aus Sicht des ALM e.V. wäre es effektiv und wünschenswert, einen zentral entwickelten Konverter herzustellen, der in der Lage ist, aus dem LDT3 den MIO-Laborbefund zu erstellen. Denn es erscheint wenig sinnvoll, wenn Labore, LIS-Hersteller und sogar AIS/PVS-Hersteller versuchen, den MIO-Laborbefund entweder direkt zu erstellen oder mit Hilfe von Eigenentwicklungen aus dem LDT3 zu konvertieren. Zahlreiche Kinderkrankheiten bei der Interpretation könnten durch ein zentrales Vorgehen vermieden werden, zudem wäre ein solcher Ansatz auch kosteneffektiver.

Die KBV8/kv.digital9 hat dem ALM e.V. signalisiert, diese Entwicklung nicht in der Selbstverwaltung erbringen zu wollen, um nicht unzulässig in den Markt der Softwarehersteller einzugreifen. Aus Sicht der Autoren könnte der ALM e.V. bei einem renommierten Softwarehaus eine gemeinsam finanzierte Erstellung beauftragen und den Mitgliedslaboren bereitstellen.

Prozesse für die MIOs definieren

In aller Regel haben die Labore keinen direkten Arzt-Patienten-Kontakt. Deshalb sind sie schon rein technisch nicht in der Lage – und dies ist ein wesentlicher Aspekt – Daten in die ePA einer Patient*in zu schreiben (siehe Abbildung).

Abbildung: Rolle der Fachärztin/des Facharztes für Laboratoriumsmedizin im MIO-Prozess
Abbildung: Rolle der Fachärztin/des Facharztes für Laboratoriumsmedizin im MIO-Prozess

Wenn man die rechtlichen Fragen ernst nimmt, ergeben sich daraus weitreichende Änderungen in den Abläufen. Die Labore müssen den MIO-Laborbefund dem Einsender zur Verfügung stellen, da im Labor nicht bekannt ist, ob eine Übertragung des Befunds in die ePA von der Patient*in gewünscht ist. Da der MIO-Laborbefund in den ersten Versionen den LDT-Datensatz nicht ersetzen kann, müssen beide Formate gesendet werden, wobei der aktuell genutzte LDT im MIO-Laborbefund für einen Übergangszeitraum als Anlage mitgeliefert werden soll. Dies erhöht zusätzlich den Bandbreitenbedarf in der Labor-Einsender-Kommunikation.

Medizinische Belastbarkeit des MIO-Laborbefunds

Eine Laborärztin oder ein Laborarzt sehen heute ihre ärztliche Verantwortung für den Papierbefund (bzw. dessen PDF-Repräsentation), wie er im Labor entstanden ist. Daraus entsteht ein Grundsatzproblem bei der Verwendung von ePA und MIO-Laborbefund.

Ein elektronisches Datenformat, das von verschiedenen Softwaresystemen konvertiert, weitergereicht und angezeigt werden könnte, kann durch Programmfehler und Interpretationsspielräume von Datenformaten abweichend dargestellt werden. Im schlimmsten Fall können falsche Werte, Referenzbereiche und Interpretationen angezeigt werden oder Angaben verloren gehen. Der MIO-Laborbefund müsste deshalb im Labor eine Zeitstempelsignatur erhalten, mit der eine Verfälschung der in ihm enthaltenen Daten verhindert würde. Dabei handelt es sich nicht um die Signatur mit einem eHBA10!

Um Anzeigefehler zu verhindern, müssten die MIO-Viewer die Zeitstempelsignatur auf Gültigkeit prüfen und in ihrer Umsetzung zertifiziert werden. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, könnte nur der PDF-Befund in der Anlage des MIO-Laborbefunds als Befund verwendet werden – was den MIO-Laborbefund an sich obsolet und den Zusatznutzen einer strukturierten, von den jeweiligen Nutzern weiterverarbeitbaren Darstellung (z. B. für Verlaufsbeurteilungen) unmöglich machen würde.

Darüber hinaus müssen die fehlenden Fachbereiche (u. a. die Mikrobiologie, Pathologie und Zytopathologie) im MIO-Laborbefund 1.0 zeitnah ergänzt werden. Zur Zeit ist nicht geklärt, wie mit den noch nicht im MIO darstellbaren Befundanteilen umgegangen werden soll, wie für den Fall, dass Laborbefunde gleichzeitig klassische Analytik und Mikrobiologie enthalten. Auch in diesen Fällen ist in der jetzigen Form ein Ausweichen auf den im Anhang mitgesendeten PDF-Befund notwendig, was den MIO-Laborbefund als primäres Objekt konterkariert.

Hohe Kosten für die fachärztlichen Labore

Mit dem MIO-Laborbefund entstehen für die fachärztlichen Labore zusätzliche Kosten. Mit dem LDT3 wurde erst vor Kurzem ein neues Format mit hohem Kostenaufwand eingeführt. Die Erstellung und Zeitstempelsignierung eines MIO-Laborbefunds muss daher analog zu den in Kapitel 40 des EBM aufgeführten Kostenerstattungspositionen mit einer zusätzlichen Abrechnungsziffer begleitet werden, ohne bestehende Ziffern auszuschließen.

Ausblick

Der Sinn und Nutzen von MIO-Objekten in der ePA steht außer Frage und würde die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens (die im Europäischen Vergleich unzureichend ist) entscheidend voranbringen. Die Hürden eines risikoarm angewendeten Datenschutzes und bürokratische Trägheit in vielen Bereichen haben in der Vergangenheit pragmatische Lösungen kaum zugelassen. Grundvoraussetzungen, wie eine eindeutige Patienten-ID, sind dabei lange Zeit auf der Strecke geblieben.

Nun sind Änderungen im Gange und mit den angestrebten Lösungen werden wir endlich einfacher die sektorübergreifende und zeitlich verteilte digitale Vernetzung realisieren können, die wir uns alle als Bürger*innen und Patient*innen wünschen und dringend benötigen. Dazu tragen die fachärztlichen Labore des ALM e.V. bei.

  1. eGK: elektronische Gesundheitskarte
  2. GKV: gesetzliche Krankenversicherung
  3. AIS/PVS: Arztinformationssystem/Praxisverwaltungssystem
  4. GLP: Gute Laborpraxis/Good Laboratory Practice
  5. Die Akkreditierung medizinischer Labore erfolgt gemäß der Norm DIN EN ISO 15189
  6. DAkkS: Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH
  7. RiLiBÄK: Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung
    laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen
  8. KBV: Kassenärztliche Bundesvereinigung
  9. kv.digital GmbH: ursprünglich KV Telematik GmbH; Kompetenzzentrum für die Digitalisierung der niedergelassenen ärztlichen Versorgung
  10. eHBA: elektronischer Heilberufsausweis/Arztausweis

Zu den Autoren:

Sascha Lüdemann ist eHealth Manager und Prokurist der Sonic Healthcare
Germany

Thomas Göttsch ist Teamleiter IT des MVZ Medizinisches Labor Hannover (Standort der Limbach Gruppe)

In dieser Ausgabe

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