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West-Spree-Virus?

Importierte Tropenkrankheiten wie der West-Nil-Virus stellen unser Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen.

Bernd Harder

Es kommt näher

Am Gardasee, sechs Autostunden von München entfernt, wurde im Sommer 2023 ein halbes Dutzend autochthoner Fälle von Denguefieber registriert – Infektionen, die sich die Erkrankten nicht auf einer Fernreise eingehandelt hatten, sondern vor Ort. Und zwar durch den Stich einer Asiatischen Tigermücke. Dieses schwarz-weiß gemusterte Insekt breitet sich massiv in Europa aus. In hiesige Gefilde gelangte Aedes albopictus durch den Handel mit Autoreifen aus Südostasien, in denen Eier abgelegt waren. „Was wir jetzt sehen am Gardasee, ist eine Konsequenz von dem, was sich in den vergangenen Jahren durch den Klimawandel an Risikopotenzial aufgebaut hat“, erklärte der Tropenmediziner August Stich (Universität Würzburg) in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. „Wir haben die Tigermücken. Die breiten sich aus.“

Entdeckung lokal übertragener Denguefieber-Erkrankungen 2023:

Frankreich
0
Italien
0
ca.
Spanien
0

Denguefieber am Gardasee und in Paris

In Paris, vier Autostunden von Saarbrücken, rückten im September 2023 Schädlingsbekämpfer aus und besprühten Bäume, Hecken und Grasflächen überall dort, wo man Brutstätten der Asiatischen Tigermücke vermutete. Im 13. Bezirk der Hauptstadt war zuvor eine Person an Denguefieber erkrankt. Dabei handelte es sich zwar um einen Reiserückkehrer, aber wenn eine Tigermücke eine Person sticht, die ein Virus aus dem Ausland eingeschleppt hat, kann sie zur Überträgerin der Krankheit werden. Die Behörden versuchten also zu verhindern, dass in der Metropolregion an der Seine eine Übertragungskette entstand.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Frankreich 43 lokal übertragene Denguefieber- Erkrankungen festgestellt, in Italien mehr als 80, in Spanien drei. In Deutschland ist das Denguefieber bislang nur bei Reiserückkehrern (vor allem aus Kuba, Indien und Thailand) aufgetreten – im Jahr 2022 waren es 375 Fälle. Also Entwarnung? Mitnichten. Insektenkundler beobachteten 2022, dass die Tigermücke sich am Oberrhein „explosionsartig“ vermehrte. Grund war der heiße Sommer. In Bayern gilt der Großraum München als Hotspot; auch in Rheinland- Pfalz entlang des Rheins, im Rhein- Main-Gebiet, im Saarland, in Berlin und Thüringen haben sich Tigermückenpopulationen eingenistet. Bei Wikipedia dreht sich ein ganzer Abschnitt um die Verbreitung von Aedes albopictus in der D-A-CH-Region.

Nur eine Frage der Zeit

„Es ist nur eine Frage der Zeit“, bis autochthone Denguefieber-Infektionen auch in Deutschland auftreten, sagte der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard- Nocht-Institut für Tropenmedizin dem SWR. „Je mehr Tigermücken vorhanden sind, desto größer ist natürlich auch die Gefahr, dass sie mal einen Reiserückkehrer stechen und es dann zu lokalen Zellen kommt.“ Und das gilt nicht bloß für Denguefieber.

2022 vermehrte sich die Tigermücke am Oberrhein explosionsartig.

Zwar gibt es noch keinen Grund, das West-Nil-Virus in „West-Spree-Virus“ umzubenennen. Allerdings werden seit 2019 auch in Deutschland autochthone Infektionen mit dem West-Nil-Virus nachgewiesen, vor allem in Ostdeutschland, etwa in Berlin, Leipzig und Meißen. 2022 wurden zehn Infektionen mit dem West-Nil-Virus erfasst. Mindestens acht der Betroffenen steckten sich hierzulande an und nicht im Urlaub oder bei einer Flugreise.

Bewusstsein für Tropenkrankheiten stärken

Längst werden die Herausforderungen des Klimawandels für unser Gesundheitssystem in hochrangigen Publikationen besprochen, etwa im „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“ (2023) des Robert Koch-Instituts. Die Autoren schreiben, dass nahezu zwei Drittel der in Europa aufzufindenden Erreger von Human- und Haustierkrankheiten klimasensibel sind. Die klimatischen Bedingungen begünstigten den Ausbruch von einheimischen und importierten Krankheiten wie Gelbfieber, Chikungunyafieber, Zikavirus-Infektionen, West-Nil-Fieber oder Denguefieber. Neben allgemeinen Präventionsmaßnahmen (Impfstoffentwicklung, Brutstättenvermeidung, Überwachung usw.) sind in besonderem Maße Arztpraxen und Labore gefordert.

„Ärztinnen und Ärzte in entsprechenden Gebieten sollten saisonal bei Häufungen von Erkrankungen mit Fieber und/oder Hautausschlag auch an diese in Deutschland nicht endemischen Erreger denken und gegebenenfalls eine entsprechende Diagnostik veranlassen“, heißt es in dem RKI-Bericht. Was das für die Praxis bedeutet, konkretisiert Uta Küsters, Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie im Bioscientia-Labor Ingelheim. Da beispielsweise West-Nil- Fieber und Denguefieber zu Beginn kaum von einer Grippe zu unterscheiden sind (Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit), rät die Expertin zu einer ausführlichen Anamnese – sowohl bei Reiserückkehrern als auch bei Patienten aus Regionen in Deutschland, wo dieses unklare Krankheitsbild verstärkt auftritt (vor allem im Hochsommer und Spätsommer) und bekanntermaßen invasive Stechmücken verbreitet sind.

Ärztinnen und Ärzte in entsprechenden Gebieten sollten saisonal bei Häufungen von Erkrankungen mit Fieber und/oder Hautausschlag auch an diese in Deutschland nicht endemischen Erreger denken und gegebenenfalls eine entsprechende Diagnostik veranlassen.

Diagnosesicherung im Labor

Die Labordiagnostik ist anspruchsvoll. Bei begründetem Verdacht (geografische Verbreitung, Inkubationszeiten, Leitsymptome und -befunde) stehen mikrobiologische, kulturelle, immunologische und molekularbiologische Verfahren zur Verfügung, wie zum Beispiel ein direkter Virusnachweis mit der Reverse Transkriptase-Polymerase- Kettenreaktion (RT-PCR) oder spezielle Antikörpertests. Neben der schnellstmöglichen Erkennung von eingeführten und autochthonen Fällen geht es um die Sensibilisierung, erklärt die europäische Plattform Climate-ADAPT, „sowohl für die Angehörigen der Gesundheitsberufe als auch für die breite Öffentlichkeit“

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