ALM aktuell 04/2022

FBREK: Gefährdung der fachärztlichen humangenetischen Versorgung

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Der ALM e. V. sieht in der Zertifizierung von Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs (FBREK) durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) keine Verbesserung der Versorgung betroffener Familien – im Gegenteil.

Prof. Dr. med. Klaus Zerres

Zahlreiche Ersatzkassen haben sich mit der DKG, den Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs und weiteren an der Versorgung beteiligten Kassen verständigt, dass Zentren, die definierte Voraussetzungen erfüllen, sich von der DKG als „Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs“ (FBREK-Zentrum) zertifizieren lassen können.

Durch die Zertifizierung soll die interdisziplinäre Versorgung betroffener Familien verbessert werden, die dann jedoch nur noch in den zertifizierten Zentren möglich wäre, obwohl viele Patientinnen mit erblichem Brust- und Eierstockkrebs bereits seit vielen Jahren in zertifizierten Brustzentren mit hoher Qualität interdisziplinär betreut werden. Die Begründung für die neu geschaffene Zertifizierung suggeriert gleichzeitig, dass die Versorgung außerhalb eines FBREK-Zentrums für Betroffene und deren Familien nachteilig und qualitativ schlechter sein könnte.

Die in vielen Einrichtungen in der gesamten Bundesrepublik im Bereich der genetischen Diagnostik und Beratung tätigen Mitglieder des ALM e. V. begrüßen ausdrücklich die Förderung von Aktivitäten zur verbesserten interdisziplinären Versorgung von Familien mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs, halten jedoch den jetzt vorgeschlagenen Weg hierzu aus einer Reihe von Gründen, von denen nur einige nachfolgend benannt werden sollen, für problematisch.

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Prof. Dr. med. Klaus Zerres
Prof. Dr. med. Klaus Zerres ist Facharzt für Humangenetik im LADR Laborverbund Dr. Kramer & Kollegen. Er ist Emeritus des Instituts für Humangenetik der Uniklinik RWTH Aachen und Sprecher der AG Genetik des ALM e.V.

Deutliche Verknappung des Versorgungsangebots und Ausdünnung

Die vorgesehene Beschränkung der humangenetischen Beratung ausschließlich auf die zukünftigen FBREK-Zentren wird zwangsläufig zu einer deutlichen Verknappung des humangenetischen Beratungsangebotes und zu einer Ausdünnung der Versorgung in der Fläche führen. Angesichts der hohen Anzahl von Betroffenen und deren Familienmitgliedern drohen damit lange Wartezeiten und unter Umständen auch der zunehmende Verzicht auf die Nutzung dieser Vorsorgeangebote.

Auflösung einer stationären Vollversorgerstruktur

Eine zunehmende Verlagerung spezialisierter Leistungen an Zentren dünnt auch das Versorgungsangebot im Krankenhaussektor aus. Nicht alle Kliniken werden entsprechende Zuweiserverträge ab-schließen können. Wenn im Zuge dieser Entwicklung auch andere Leistungsbereiche an spezialisierte zertifizierte Zentren verlagert werden, ist die Auflösung und Zergliederung einer Vollversorgerstruktur vorhersehbar.

Gefährdung einer breit aufgestellten qualifizierten humangenetischen Versorgung

Die Humangenetik gewinnt bei der Früherkennung und Behandlung einer stetig wachsenden Zahl von Erkrankungen zunehmend an Bedeutung. Deutschland verfügt über ein flächendeckendes Netz an Fachärztinnen und Fachärzten für Humangenetik und akkreditierten humangenetischen Laboren. Zur Sicherstellung der qualifizierten flächendeckenden humangenetischen Versorgung ist die Einbindung aller Humangenetikerinnen und Humangenetiker der vertragsärztlichen Versorgung notwendig.

Die nach den Akkreditierungsbedingungen bestehende Möglichkeit, ein akkreditiertes FBREK-Zentrum ohne Facharztqualifikation für Humangenetik allein mit der sogenannten „Qualifikation zur fachgebunden humangenetischen Beratung“, die keinerlei ernstzunehmenden Qualifikationsnachweis darstellt, zu betreiben, schließt Fachärztinnen und Fachärzte für Humangenetik aus und konterkariert in geradezu eklatanter Weise den Anspruch auf Verbesserung der Versorgung von Familien mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs. Die Ausgrenzung von Fachärztinnen und Fachärzten von der medizinischen Versorgung stellt darüber hinaus den gesetzlich garantierten Anspruch auf freie Arztwahl infrage. 

Notwendigkeit der Beteiligung aller in die Betreuung eingebundener Einrichtungen in die Datenerhebung und Datennutzung

Die medizinische Forschung benötigt eine möglichst breite Datengrundlage, die idealerweise von allen an der Versorgung beteiligten Leistungserbringern gespeist aber auch genutzt werden sollte. Die vorgesehene Fokussierung der Datenerhebung auf Mitglieder der zertifizierten FBREK-Zentren läuft diesem Ziel entgegen und bewirkt den Ausschluss der Beteiligung an wissenschaftlichen Fragestellungen, deren Ergebnisse gerade in der Humangenetik oft unmittelbaren Eingang in die Patientenversorgung haben. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit der Beteiligung aller Humangenetikerinnen und Humangenetiker, die in die Versorgung von Familien mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs eingebunden sind, sowohl an der Datenerhebung als auch deren zeitnaher Nutzung zwingend notwendig.

„Dammbruch“ mit Auswirkungen auf weitere Versorgungsbereiche

Es gibt Versorgungsbereiche, vor allem der sehr seltenen Erkrankungen, in denen Spezialisierung und die Bildung von Zentren politisch gewollt und medizinisch sinnvoll sind und die finanziell abgesichert sein müssen. Sollte eine vergleichbare Zertifizierung und damit die Bündelung weiterer medizinischer Versorgungsleistungen an spezialisierten Zentren auch für andere häufige Erkrankungen erfolgen, werden sich die befürchteten negativen Effekte auf die flächendeckende qualitative Versorgung potenzieren und in der Gesamtheit die Versorgung in Deutschland verschlechtern. Zusätzlich wird dies auch negative Auswirkungen auf die Ausbildungsmöglichkeiten von Fachärztinnen und Fachärzten haben.

Stellungnahmen des ALM e.V.

Der ALM e.V. hat am 13.08.21 und 01.03.22 zur Akkreditierung von FBREK-Zentren durch die DKG Stellung genommen. Der Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Humangenetiker e. V. (BVDH) hat sich dessen Einschätzung angeschlossen. Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e. V. (GfH) vom 29.03.21 enthält ebenfalls zentrale Forderungen zu diesem Thema.

Forderung des ALM e.V.

Der ALM e.V. fordert eine Revision der Akkreditierungsaktivitäten unter Einbeziehung aller derzeit in die Versorgung von Familien mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs beteiligten Vertreter und Disziplinen.

Links zu Dokumenten, die im Artikel erwähnt werden:

www.alm-ev.de/positionen-und-stellungnahmen

01.03.2022 | Stellungnahme des ALM e.V.
Das Konzept der Versorgung von Familien mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs in FBREK gefährdet die etablierte wohnortnahe dezentrale Versorgung betroffener Familien

13.08.2021 | Vorschlag des ALM e.V. zur Formulierungshilfe
Neues Zertifikat für Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs (FBREK) (…)

www.gfhev.de

29.03.2021 | Positionspapier der GfH Strukturierung der genomischen Medizin in der Patientenversorgung

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